Urteil - Kanzlei Hoang

Zielvereinbarungen: Arbeitgeber müssen darüber verhandeln – sonst droht Schadensersatz

In dem Fall ging es darum, ob ein Arbeitgeber seine Pflicht verletzt, eine Zielvereinbarung mit einem Arbeitnehmer auszuhandeln, bevor er einseitig Bonusziele festlegt und damit eine variable Vergütung verwehrt. Für die Arbeitnehmerseite war entscheidend, ob solche einseitig gesetzten Vorgaben wirksam sind und ob daraus Schadensersatzansprüche entstehen können. Die Entscheidung zeigt insbesondere, wie wichtig die Beteiligung des Mitarbeitenden an der Zielvereinbarung ist – und dass ein Arbeitgeber nicht einfach im Alleingang Ziele festlegen darf, wenn keine Vereinbarung zustande gekommen ist.

Für Arbeitnehmer, Betriebsräte und Gewerkschaften ist dieses Urteil relevant, weil es die Position bei variablen Vergütungen stärkt und zeigt, dass typische Klauseln zur einseitigen Zielvorgabe nicht ohne Weiteres zulässig sind. Der Umgang mit Zielvereinbarungen ist im Arbeitsalltag ein häufiges Thema – sei es bei Bonuszahlungen, Provisionen oder variablen Vergütungskomponenten. Wer versteht, wo seine Rechte liegen, kann besser einschätzen, ob er sich gegen eine ungerechte Behandlung wehren kann. Das Urteil macht deutlich: Mitbestimmung bei der Zielvereinbarung darf nicht nur ein formaler Akt sein, sondern echte Verhandlungsmöglichkeiten müssen bestehen.

Gericht:Bundesarbeitsgericht
Aktenzeichen:10 AZR 171/23
Entscheidungsdatum:3. Juli 2024
Vorinstanzen:Arbeitsgericht Hamburg, Urteil vom 10. Februar 2022, 29 Ca 236/21
Landesarbeitsgericht Hamburg, Urteil vom 16. Januar 2023, 5 Sa 14/22
Relevante Vorschriften:§§ 280, 283, 252, 611a, 307 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)

Sachverhalt

Ein Arbeitnehmer hatte mit seinem Arbeitgeber einen Arbeitsvertrag geschlossen, in dem eine variable Vergütung – also ein Bonus oder eine Tantieme – vorgesehen war. Diese variable Vergütung sollte laut Vertrag davon abhängen, dass jeweils vor Beginn eines Zielzeitraums eine Zielvereinbarung geschlossen wird. Der Vertrag sah zugleich vor, dass – falls keine Einigung erzielt wird – der Arbeitgeber die Ziele einseitig festlegen darf. Der Arbeitnehmer argumentierte, dass keine entsprechende Zielvereinbarung zustande gekommen sei.

Stattdessen habe der Arbeitgeber die Vorgaben allein bestimmt und dann keine oder deutlich geringere Bonuszahlungen geleistet. Der Arbeitnehmer machte deshalb Schadensersatzansprüche geltend wegen entgangener Vergütung. In den vorherigen Instanzen wurde darüber gestritten, ob der Arbeitgeber seine Pflicht zur Verhandlung erfüllt hatte und ob die Klausel zur einseitigen Zielvorgabe wirksam sei. Der Arbeitgeber hielt dagegen, dass der Arbeitnehmer auf die Einigung gedrungen habe und dass die einseitige Festlegung der Ziele zulässig sei.

Entscheidungsgründe

Das Bundesarbeitsgericht entschied zugunsten des Arbeitnehmers. Es stellte zunächst fest, dass der Arbeitgeber im Arbeitsvertrag eine Verpflichtung übernommen hatte, mit dem Arbeitnehmer über Zielvereinbarungen zu verhandeln. Dieses Verhandlungsgebot bedeutet, dass der Arbeitnehmer Einfluss auf die Zielsetzung haben muss – andernfalls wird seine Mitwirkungspflicht unterlaufen. Das Gericht beanstandete, dass eine Vertragsklausel, die dem Arbeitgeber ohne echten Verhandlungsauftrag oder Beteiligungsmöglichkeit des Arbeitnehmers das Recht einräumt, bei Nicht-Eintritt einer Vereinbarung eigene Ziele zu setzen, der in § 307 BGB geregelten Inhaltskontrolle nicht standhält.

Die Klausel benachteilige den Arbeitnehmer unangemessen, da sie eine ordnungsgemäße Zielvereinbarung aushebeln könne. Außerdem betonte das BAG, dass durch das Vorgehen des Arbeitgebers die Berufsfreiheit des Arbeitnehmers (Art. 12 GG) tangiert sein könne, wenn dieser durch die einseitige Vorgabe in seinen Möglichkeiten, das Arbeitsverhältnis zu gestalten oder zu beenden, eingeschränkt wird. In der Folge sah das Gericht eine Schadensersatzpflicht des Arbeitgebers für die entgangene Vergütung.

Damit setzt das Urteil eine klare Linie: Der Arbeitgeber muss aktiv und ernsthaft in den Verhandlungsprozess treten und eine faire Mitwirkungsmöglichkeit sicherstellen. Für Arbeitnehmer heißt das konkret: Sie haben Anspruch darauf, dass Ziele realistisch, prognostizierbar und verhandelbar sind – nicht einfach vom Arbeitgeber im Alleingang fixiert werden. Die Entscheidung stellt in der Rechtsprechung keinen vollständigen Bruch mit bisherigen Grundsätzen dar, aber sie verschärft die Anforderungen an Vertragsklauseln zur Zielvorgabe sowie die Praxis der Zielvereinbarung und gibt damit Arbeitnehmern stärkere Schutzmöglichkeiten.

Zusammenfassung

Arbeitgeber dürfen Zielvereinbarungen nicht einfach ohne echte Verhandlung mit dem Arbeitnehmer einseitig festlegen – bei Verstoß besteht ein Anspruch auf Schadensersatz.

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Bildnachweis: Foto von KATRIN BOLOVTSOVA

Rechtsanwalt Van Hoang, LL.B.
Rechtsanwalt Van Hoang, LL.B.

Rechtsanwalt Hoang ist bundesweit tätig und spezialisiert auf Arbeitsrecht – von Kündigung und Abmahnung bis hin zu Aufhebungsverträgen und Lohnansprüchen. Zusätzlich berät er kompetent im allgemeinen Zivilrecht und Datenschutzrecht. Mandanten profitieren von klarer Kommunikation, effizienter Fallbearbeitung und fundierter juristischer Expertise. Dabei legt er besonderen Wert auf strategisches Vorgehen und taktisch kluges Verhandeln, um für seine Mandanten optimale Ergebnisse zu erzielen.

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