Urteil - Kanzlei Hoang

Arbeitsrecht aktuell: Wenn vulgäre Kritik nicht zur Kündigung führt

In dem vorliegenden Urteil ging es darum, ob ein Arbeitgeber einem Arbeitnehmer ordentlich kündigen durfte, nachdem dieser in einer Nachtschicht vulgär über die Schichtleitung gesprochen hatte. Der Arbeitnehmer arbeitete dauerhaft in der Nachtschicht und geriet mit seiner neuen Vorgesetzten in einen Konflikt, der laut Arbeitgeber zunächst eine Beleidigung darstellte und daher eine Kündigung rechtfertigen sollte. Der Arbeitnehmer wies die Schwere der Äußerung zurück und argumentierte, die Formulierung sei missverstanden worden. Das zuständige Gericht prüfte, ob die Kündigung sozial gerechtfertigt war – also insbesondere, ob mildere Mittel als eine Kündigung zur Verfügung standen. Nicht jede verbale Entgleisung führt automatisch zum Verlust des Arbeitsplatzes. Vielmehr kommt es auf den konkreten Kontext, die Aussage und die Umstände an.

GerichtLandesarbeitsgericht Düsseldorf
Aktenzeichen3 SLa 699/24
Entscheidungsdatum18.11.2025
VorinstanzenArbeitsgericht Düsseldorf, Urteil vom 14.11.2024, 1 Ca 1201/24
Relevante Vorschriften§ 1 Kündigungsschutzgesetz, § 241 Bürgerliches Gesetzbuch

Sachverhalt

Der Arbeitnehmer war seit dem Jahr 2020 bei dem Arbeitgeber beschäftigt, der ein Verteilzentrum innerhalb einer Handelsgruppe betreibt. Er arbeitete zuletzt in der Nachtschicht als sogenannter „Sortation Associate“, also im Bereich der Sortierung und Abwicklung von Waren. Bereits zuvor hatte der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer mehrere Abmahnungen erteilt: zum einen wegen unerlaubtem Verlassen des Arbeitsplatzes, zum anderen wegen angeblicher Respektlosigkeit gegenüber Vorgesetzten. Diese Abmahnungen bildeten die Vorgeschichte und zeigten ein bereits belastetes Verhältnis zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber.

Am 24. August 2024 kam es zu einem konkreten Streit mit einer neuen Vorgesetzten: Diese wies den Arbeitnehmer an, andere Beschäftigte zu unterstützen, worauf jener nach Darstellung des Arbeitgebers nicht reagierte. Der Arbeitgeber behauptete, der Arbeitnehmer habe daraufhin gesagt, die Vorgesetzte könne ihm nichts sagen und sei noch ein Kind. Als die Vorgesetzte ihn aufforderte, sich kurz zu beruhigen, reagierte der Arbeitnehmer laut Arbeitgeber sehr aufgebracht und soll eine vulgäre Äußerung auf Türkisch gemacht haben (“Du hast die Mutter der Schicht gefickt.”), die als schwerwiegende Beleidigung verstanden wurde.

Der Arbeitnehmer widersprach dieser Darstellung und gab an, in türkischer Sprache eine andere Formulierung verwendet zu haben, die sinngemäß ausdrücke, „Du hast die Schichtmutter weinen lassen“. Er führte aus, dass die Situation laut und die akustische Distanz groß gewesen sei, sodass sein Ausdruck missverstanden worden sei. Mit Schreiben vom 18. September 2024 kündigte der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis ordentlich zum 31. Oktober 2024 mit der Begründung, eine weitere Zusammenarbeit sei nach dieser Entgleisung nicht zumutbar. Der Arbeitnehmer erhob Kündigungsschutzklage, wobei das Arbeitsgericht die Kündigung zunächst für wirksam hielt. In der anschließenden Berufungsinstanz legte der Arbeitnehmer Berufung beim Landesarbeitsgericht Düsseldorf ein.

Entscheidungsgründe

Das Landesarbeitsgericht Düsseldorf stellte nach eingehender Beweisaufnahme fest, dass der Arbeitnehmer die Äußerung in der wesentlichen Struktur so getätigt hatte, wie vom Arbeitgeber vorgetragen. Dennoch sah das Gericht den Zusammenhang anders bewertet: Es kam zu dem Ergebnis, dass die Äußerung eher als vulgär formulierte Kritik an der Art der Schichtführung zu verstehen war, nicht als gezielte persönliche Herabwürdigung der Vorgesetzten. Dabei berücksichtigte das Gericht die spezifische Nachtschichtsituation, die hohe Beanspruchung im Betrieb, die Vorgeschichte mit Abmahnungen und die sprachliche Besonderheit, dass der Arbeitnehmer in türkischer Sprache sprach und die Aussage möglicherweise missverstanden werden konnte.

Für die rechtliche Bewertung war entscheidend: Eine ordentliche Kündigung greift erheblich in die berufliche Existenz ein und ist daher nur dann zulässig, wenn sie sozial gerechtfertigt ist – unter anderem deshalb, weil mildere Mittel nicht ausreichen. Das Gericht war überzeugt, dass vor Ausspruch der Kündigung nicht alle milderen Mittel vollständig ausgeschöpft waren. Eine zusätzliche Abmahnung oder ein klärendes Gespräch hätten hier nach Ansicht der Kammer geeignet erscheinen können. Die Abwägung der Interessen führte zu dem Ergebnis, dass die Kündigung im konkreten Fall unverhältnismäßig war. Damit bestätigte das Gericht, dass auch in ernsten Konfliktsituationen der Kündigungsschutz weiterhin greift und nicht jede respektlose Äußerung zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses führt.

Für Arbeitnehmer, Betriebsräte und Gewerkschaften hat dieses Urteil große Bedeutung: Es zeigt, dass die Kontextumstände einer Äußerung – etwa Schichtarbeit, Sprachbarrieren oder psychische Belastungen – bei der Bewertung mit einfließen. Es verdeutlicht zudem, dass der Arbeitgeber bei einer Kündigung wegen verhaltensbezogenen Vorwurfs sorgfältig prüfen muss, ob eine mildere Maßnahme zumutbar gewesen wäre. Zwar räumt das Gericht ein, dass grobe Sprache grundsätzlich nicht toleriert werden muss, jedoch war hier in der Gesamtschau nicht die Grenze zur untragbaren persönlichen Beleidigung überschritten.

Zusammenfassung

Ordentliche Kündigung nach vulgärer Kritik an der Schichtleitung war unverhältnismäßig und daher unwirksam – Kontext und Interessenabwägung entscheidend.

Das können wir für Sie tun

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Bildnachweis: Foto von KATRIN BOLOVTSOVA

Rechtsanwalt Van Hoang, LL.B.
Rechtsanwalt Van Hoang, LL.B.

Rechtsanwalt Hoang ist bundesweit tätig und spezialisiert auf Arbeitsrecht – von Kündigung und Abmahnung bis hin zu Aufhebungsverträgen und Lohnansprüchen. Zusätzlich berät er kompetent im allgemeinen Zivilrecht und Datenschutzrecht. Mandanten profitieren von klarer Kommunikation, effizienter Fallbearbeitung und fundierter juristischer Expertise. Dabei legt er besonderen Wert auf strategisches Vorgehen und taktisch kluges Verhandeln, um für seine Mandanten optimale Ergebnisse zu erzielen.

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